Mehr als Sprachmodelle: Warum angewandte KI die große Chance für Europa ist. Dazu durfte ich für das t3n Magazin etwas aufschreiben.
Hier der Link zum Artikel
Europas KI-Revolution: Die unterschätzte Chance#
“Europa hat den KI-Wettlauf verloren” - so lautet das vorschnelle Urteil vieler Experten. Während sich die Schlagzeilen auf Durchbrüche bei großen Sprachmodellen konzentriert, vollzieht sich im Stillen eine fundamentale Verschiebung: Die nächste Phase der KI-Transformation findet nicht nur in Rechenzentren der KI Entwickler statt, sondern in den praktischen Anwendung in Unternehmen. Und genau hier liegt Europas große Chance.
Ein gutes Beispiel dafür liefert Siemens, die gemeinsam mit Microsoft das erste Industrial Foundation Model (IFM) entwickeln. Dieses auf Industriedaten spezialisierte KI-Modell soll die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine neu gestalten und die Produktivität in der Fertigung steigern - ein Beleg dafür, wie europäische Unternehmen KI gezielt für industrielle Anwendungen nutzbar machen.
Wertschöpfung entsteht dort, wo KI auf jahrzehntelange Industrieerfahrung und reale Geschäftsprozesse trifft. Europas Stärken liegen in seinem hochinnovativen Mittelstand, führenden Technologieunternehmen und einer herausragenden Forschungslandschaft. Europäische Unternehmen und Startups entwickeln KI-Lösungen, die zwar weniger Schlagzeilen machen als ChatGPT, aber konkrete wirtschaftliche Werte schaffen.
Die nächste Welle der KI-Innovation#
Diese Transformation ist bereits in vollem Gange. Dabei hilft der europäische Fokus auf Entwicklung vertrauenswürdiger KI-Systeme, die den hohen europäischen Standards entsprechen. Der 2024 verabschiedete EU AI Act schafft dafür erstmals einen verbindlichen Rechtsrahmen, auch wenn die vollständige Implementierung noch Jahre dauern wird.
Enterprise AI: Die digitale Transformation der Geschäftsprozesse#
Ein aktuelles Beispiel für diese Entwicklung ist die strategische Partnerschaft zwischen dem französischen KI-Unternehmen Mistral, SAP und Capgemini. Gemeinsam entwickeln sie maßgeschneiderte KI-Lösungen für stark regulierte Branchen wie Finanzdienstleistungen, den öffentlichen Sektor und die Energiewirtschaft - Bereiche, in denen Europa traditionell stark ist.
Diese Zusammenarbeit illustriert Europas Wettbewerbsvorteil: Die Kombination aus technologischer Innovation, Branchenexpertise und regulatorischem Know-how.
Vertical AI: Branchenspezifische KI Lösungen#
Branchenspezifische KI-Expertise schafft einzigartige Wettbewerbsvorteile. Was oft als Europas größte Hürde gilt - strenge Datenschutz- und Sicherheitsstandards - entwickelt sich zum strategischen Vorteil: Diese Standards zwingen zur Entwicklung vertrauenswürdiger KI-Systeme von Beginn an. Eine Kompetenz, die sich angesichts weltweit verschärfter Regulierung zum Exportschlager entwickeln könnte.
Ein Beispiel ist die Kooperation zwischen Mindpeak und ZEISS im Bereich der medizinischen Bildanalyse. Das Startup aus Hamburg, das kürzlich eine Series-A-Finanzierung von 15,3 Millionen Dollar sichern konnte, entwickelt KI-Lösungen, die Pathologen bei der präzisen Diagnose von Krankheiten unterstützen. Die Integration ihrer KI-Algorithmen in die Mikroskopie-Systeme von ZEISS schafft einen konkreten Mehrwert im klinischen Alltag.
Industrielle KI: Optimierung der Fertigung#
Anders als bei Konsumenten-Anwendungen, wo US-Unternehmen dominieren, hat Europa durch seine breite industrielle Basis einen natürlichen Vorsprung bei Anwendung von KI in der Fertigungsindustrie. Neben Siemens mit seinem Industrial Foundation Model ist das schwedische Startup iPercept ein weiteres gutes Beispiel. Ihre KI basierte Lösung, die aus einem mehrjährigen Forschungsprojekt von schwedischen Unternehmen mit dem KTH Royal Institute of Technology hervorging, ist eine neue Methode zur automatischen Zustandsüberwachung von metallverarbeitenden Maschinen während der laufenden Produktion. Diese Innovation ermöglicht nicht nur die frühzeitige Erkennung von Verschleiß, sondern optimiert auch die Lebensdauer von Produktionsanlagen - ein direkter Beitrag zur Effizienz und Nachhaltigkeit der Industrieproduktion.
Ausblick#
Europas KI-Zukunft steht auf drei Säulen:
Industrielle Stärke: Jahrzehntelange Expertise in Schlüsselbranchen
Technologische Innovation: Führende Forschung und innovative Startups
Regulatorische Kompetenz: Weltweite Vorreiterrolle bei KI-Standards
Diese Kombination schafft einzigartige Voraussetzungen - wenn bestehende Hürden konsequent abgebaut werden.
Dazu zählen insbesondere drei zentrale Herausforderungen gilt es zu meistern:
Mangelnde Skalierung: Fragmentierte in der EU erschweren schnelles Wachstum
Kapitallücke: Europäische Startups erhalten im Schnitt 1/3 weniger Finanzierung als US-Konkurrenz
Regulatorische Unsicherheit: Klare und einheitliche Umsetzungsrichtlinien für den AI Act fehlen noch
Ein voll integrierter digitaler Binnenmarkt mit harmonisierten Regeln und gemeinsamen Datenräumen wird zum wichtigen Hebel für Europas globale KI-Wettbewerbsfähigkeit. Die Bereitstellung von mehr Wagniskapital für KI-Startups und der Ausbau von Initiativen wie der Agentur für Sprunginnovation auch auf europäischer Ebene sind weitere entscheidende Hebel for Europa.
Europa muss hier schnell und konsequent voranschreiten. Denn China hat diese Chancen auch erkannt. Im April traf sich das Politbüro der Partei zu seiner zweiten Studientagung über KI (die erste fand 2018 statt). Auf der Sitzung sagte Präsident Xi Jinping , dass China sich noch stärker auf die Anwendung von KI fokussieren soll.